Berlin
Berlin, 29. Januar 2013Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
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PRESSEMITTEILUNG
"Requiem für Auschwitz" - Berliner Philharmonie am 29. Januar 2013, 20:30 Uhr
Am 30. Januar gedenkt der Deutsche Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus. Am 27. Januar 1944 wurde das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Aus diesem Anlass findet ein Konzert in der Berliner Philharmonie statt, in dessen Zentrum die Komposition "Requiem für Auschwitz" des niederländischen Sinto Roger Moreno Rathgeb steht. Es ist allen Opfern des Vernichtungslagers, das symbolhaft für die Völkermordverbrechen der Nationalsozialisten steht, gewidmet. Mit der Musik wird die Erinnerung an die Leiden der Ermordeten wachgehalten. Über das Erinnern hinaus möchte der Komponist, dass sein Werk der Völkerverständigung und dem respektvollen Umgang der Menschen miteinander dient. Vor dem Hintergrund der besorgniserregenden Entwicklung in Europa steht das "Requiem für Auschwitz" gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.
Das Requiem ist wie kaum eine andere Veranstaltung im Rahmen des Gedenkens um den 27. Januar dazu geeignet, die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen zu ehren und zu würdigen und ihr Vermächtnis den heutigen Generationen zu vermitteln.
"Die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer der Gewaltherrschaft und menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten, des Holocausts an einer halben Million Sinti und Roma und sechs Millionen Juden, verpflichtet uns, den gegenwärtigen Tendenzen in Europa, Minderheiten auszugrenzen, zu diskriminieren und zu Opfern rassistischer Gewalt werden zu lassen, entschieden entgegenzutreten", sagte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose.
Das Requiem wird von den Roma und Sinti Philharmonikern unter der Leitung von Riccardo M Sahiti aufgeführt, der dazu Musiker aus der Minderheit aus verschiedenen Ensembles bekannter europäischer Häuser gewinnen konnte. Die Premiere fand am 3. Mai 2012 in Amsterdam statt. Die Aufführung in Berlin wird unter anderem vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, der Regierung des Königreichs der Niederlande, des Auswärtigen Amtes und der Stichting Alfa unterstützt.
Geschafft: Riccardo Sahiti kann heute sein eigenes Orchester dirigieren. Früher hörte er oft:„Sie haben großes Talent, aber Sie passen einfach nicht zu uns.“
Foto: björn Hadem (2)
Prag –
Riccardo Sahiti leitet ein Sinfonieorchester, das ausschließlich aus Sinti und Roma besteht. Er musiziert für sein Publikum – und gegen Vorurteile.
Riccardo Sahiti hat sich oft gefragt, wie sich dieser Moment wohl anfühlen würde. Nun ist er da, dieser Moment, die letzten Minuten vor dem Konzert. Riccardo Sahiti steht im schmuckvoll verzierten Dirigentenzimmer des Rudolfinums in Prag, einem der wichtigsten Konzerthäuser Europas. An der Wand hängen die gerahmten Fotos seiner Idole: Karajan, Kleiber, Bernstein.
Er kann schon die Gäste hören, die ihre Plätze einnehmen und sich gedämpft unterhalten. Gleich ist es soweit. Er ist 51 Jahre alt, und er fühlt sich, als stünde er vor einer wichtigen Schulprüfung.
Er schließt die Augen, geht die ersten Noten der Partitur durch, zeichnet mit seiner rechten Hand kleine Kreise in die Luft. Seine Frau streicht sein Haar glatt, sucht nach Falten in seinem Frack. Ein Klopfen. Jemand öffnet die schwere Holztür, und man sieht Frauen in Abendkleidern vorbeieilen. Sahiti muss jetzt auf die Bühne. Sein Herz pocht, sein Atem wird schneller. „Das ist wie ein Traum“, sagt er.
Fast auf den Tag vor zehn Jahren hat Sahiti die Roma-und-Sinti-Philharmoniker gegründet. Ein kleines Projekt zu Beginn, ein Streichorchester, kaum ernst genommen, und nun wird Sahiti vor sechzig Musikern stehen. Sie stammen aus Deutschland, Rumänien, Ungarn. Sie gehören einer vernachlässigten Minderheit an, von vielen pauschal nur Zigeuner genannt.
Mehr leisten als andere Kollegen
Der Saal ist voll. Riccardo Sahiti wird mit Applaus begrüßt. Er steigt aufs Pult, schaut den Musikern in die Augen, lächelt ihnen zu, sie lächeln zurück. Dann hebt er den Taktstock, durchschneidet die Luft mit zackigen Bewegungen. Das Orchester kommt in Fahrt. Es spielt fürs Publikum, es spielt für sich, aber vor allem: gegen Vorurteile.
Riccardo Sahiti wächst in den Sechzigerjahren in der Nähe von Pristina auf. Seine Eltern sind wohlhabend, schenken ihm ein Klavier, schicken ihn zur Musikschule nach Belgrad. Er probt bis zu fünfzehn Stunden am Tag. 1988 erhält er ein Stipendium in Moskau, nimmt an Wettbewerben teil. Vier Jahre später flüchtet er vor dem Kosovo-Krieg nach Frankfurt am Main. Er bewirbt sich bei Orchestern um eine Anstellung, bekommt aber immer nur Absagen. Der Direktor einer Musikschule sagt ihm: „Sie haben großes Talent, aber einen Job bekommen Sie nicht. Sie passen einfach nicht zu uns.“ Sahiti fragt, ob die Abweisung mit seiner Roma-Herkunft zu tun habe, eine Antwort erhält er nicht. „Ich dachte, dass Fleiß sich auszahlt“, sagt er heute. „Vielleicht wäre es mir mit einer deutschen oder amerikanischen Staatsbürgerschaft leichter ergangen.“ Er hat keine Verbitterung in der Stimme, keine Trauer. Er hat sich daran gewöhnt, mehr leisten zu müssen als viele Kollegen.
Die Roma-und-Sinti-Philharmoniker begannen vor elf Jahren als kleines Streichorchester.
Die Konzertreise nach Prag hat Riccardo Sahiti monatelang vorbereitet. Zwei Tage vor dem Konzert im Rudolfinum steht er an einer Hotelrezeption. Das Haus ist ausgebucht, es fehlen drei Doppelzimmer für seine Musiker. Die Mitarbeiterin ist genervt, sie wird ein wenig lauter, spricht herablassend über das selbstverschuldete Chaos der Gäste. Sahiti, ein Mann von zierlicher Statur, kennt diesen Blick, er kennt diesen Unterton. Er weiß, mit welchen Vorurteilen Roma in Osteuropa leben müssen. In Prag hatten es seine Musiker schwer, Kontrabässe zu leihen, die Unternehmen fürchteten, sie würden die Instrumente nicht wiedersehen.
Riccardo Sahiti möchte sich auf Musik konzentrieren, auf Melodien, Dynamik, Tempi. Doch immer wieder spürt er einen Rechtfertigungsdruck für Eigenschaften, die er nie hatte, nie haben wird. „Ich weiß nicht, warum viele Menschen so viel Negatives mit uns verbinden, obwohl sie uns gar nicht kennen.“ Er achtet penibel darauf, keine Angriffsfläche zu bieten. Während des Abendessens im Restaurant entdeckt er einen Teller, der kaum berührt stehengelassen wurde. „Muss man so mit Essen umgehen?“, fragt er in die Runde. Seine Musiker heben fragend die Schultern.
Die Serviererin hinter dem Tresen antwortet: „Das waren die Gäste einer anderen Gruppe, kein Problem.“
Das neue Jahrtausend hat gerade begonnen, da schafft sich Riccardo Sahiti seine eigene Form des Protests gegen Ausgrenzung. Er weiß, dass Sinti und Roma in großen Orchestern vertreten sind, in der Wiener Staatsoper, im MDR-Sinfonieorchester, im Nationalorchester Rumäniens. In Frankfurt spricht er 2001 bei der Stadt vor, bei der Landesregierung, bei Sponsoren. Er lädt Musiker ein, die wieder andere Musiker einladen.
Spielen ohne Gage
Vor den Proben lässt er sie in seiner Wohnung übernachten, zwischen Plattensammlung und Konzertplakaten. Sie diskutieren bis in die Nacht. Tagsüber verteilen sie Handzettel. Und dann, nach Monaten der Planung, geben die Roma-und-Sinti-Philharmoniker im November 2002 in Frankfurt ihr erstes Konzert. Niemand bittet um eine Gage. „Der Saal war voll, die Leute kamen tatsächlich wegen uns.“ Sahiti spricht mit brüchiger Stimme. Er hat sich lange mit Jobs durchgeschlagen, im Roma-Orchester findet er seine Erfüllung.
Riccardo Sahiti ist auf Musiker angewiesen, die so ticken wie er, auf Johann Spiegelberg zum Beispiel, der sagt: „Durch dieses Orchester verlieren wir uns nie aus den Augen.“ Spiegelberg, Geiger und Mitglied der ersten Stunde, hat eine jüdische Mutter und einen Vater mit Roma-Wurzeln, seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. „Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht, ich muss auch an meinen Sohn denken.“
Spiegelberg ist in Rumänien aufgewachsen, am Schwarzen Meer, er hat eine hervorragende Ausbildung genossen. Ende der Achtzigerjahre ist er für sein Studium nach Leipzig gegangen, seit 1998 hat er ein festes Engagement in Sachsen-Anhalt, die Stadt will er lieber nicht nennen. Denn hin und wieder lassen ihn Menschen spüren, dass er woanders herkommt, dass er anders aussieht. Als seine Locken und sein Vollbart noch dunkler waren, hörte er oft Zigeuner-Sprüche. Neulich fuhr Spiegelberg nach einem Konzert im Frack zur Tankstelle, zwei Jugendliche musterten ihn in seinem Mercedes und riefen ihm zu: „In Deutschland lässt es sich gut leben auf unsere Kosten, oder?“
„Mit diesem Orchester können wir zeigen, dass Roma nicht pauschal kriminell sind“, sagt Spiegelberg. Bekannte Sinti und Roma wie die Sängerin Marianne Rosenberg, der Jazzmusiker Django Reinhardt oder Riccardo Sahiti eben werden von Politikern als „positive Leitbilder“ herausgestellt. Sie sollen der Gesellschaft beweisen, dass Zigeuner auch singen und komponieren können. Aber ist ein Dirigent mehr wert als ein anonymer Arbeiter? „Viele Musiker wie ich“, sagt Spiegelberg, „verschweigen ihre Herkunft.“ Aus Angst, mehr leisten zu müssen, in Vorspielen, Proben, Konzerten. Da geht es ihnen nicht anders als Arbeitern, Akademikern, Sportlern mit Roma-Wurzeln.
Die engsten Freunde von Spiegelberg wissen von seiner Herkunft, aber in seinem Bekanntenkreis erzählt er nicht davon und mit den Roma-Philharmonikern würde er in ganz Europa auftreten, aber nicht in seiner ostdeutschen Wahlheimat. „Wir verstehen uns gut mit unseren Nachbarn, dabei soll es auch bleiben“, sagt er.
Spiegelberg möchte seine Musik sprechen lassen. Er hat den Bürgermeister einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt überredet, ein Orchester zu gründen, das Durchschnittsalter liegt bei 26 Jahren. Die Musiker stammen aus Deutschland, Japan, Ungarn, Australien. Spiegelberg redet mit ihnen nicht viel über Herkunft und Vergangenheit. „Sie sollen gemeinsam den richtigen Klang finden. Nur das zählt.“
Am Abend vor dem Konzert in Prag treffen sich Riccardo Sahiti, Johann Spiegelberg und einige Kollegen im Foyer des Hotels. Sie vergleichen ihre Instrumente, sie singen, lachen, zitieren Beethoven oder Schubert. „Wie auf einer Klassenfahrt“, sagt Riccardo Sahiti und lacht sein kehliges Lachen. Einen Konkurrenzkampf wie in ihren Heimatorchestern gebe es hier nicht. „Wir wollen unser kulturelles Erbe weitertragen.“ Johann Spiegelberg streut ein feuriges Solo ein, bewegt seinen Oberkörper vor und zurück, er spielt mit dem Klischee des leidenschaftlichen Stehgeigers, doch mit seinem musikalischen Alltag hat das wenig zu tun.
Mehr als achtzig Opern sind von Roma inspiriert worden. Große Komponisten haben ihre Tradition genutzt: Brahms, Liszt, Bizet. Die jüdische Klezmermusik, der andalusische Flamenco, die kubanische Rumba sind von Roma beeinflusst worden. Trotzdem wird ihre Kultur oft auf die aufreizende Opernfigur Carmen reduziert. Trotzdem gibt es in Deutschland keine staatlich gestützte Einrichtung für Musik und Literatur der Roma oder für ihre Sprache Romanes. Erst seit 1997 sind Sinti und Roma hierzulande als nationale Minderheit anerkannt. Die Philharmoniker sind das einzige Orchester ihrer Art.
Wenige Stunden noch bis zum Konzert, die Generalprobe steht an. Riccardo Sahiti steht am Pult, dreht sich um, blickt in die Zuschauerreihen. In der Mitte sitzt Roger Moreno Rathgeb und hebt seinen rechten Daumen. Der Komponist, ebenfalls Sinto, ist zufrieden und sagt: „Dieses Werk hat mich viel Kraft gekostet. Manchmal wundere ich mich, dass ich es überhaupt fertigstellen konnte.“ In Prag werden die Philharmoniker sein Auschwitz-Requiem aufführen, eine gewaltige Totenmesse mit Chor und vier Solisten. Moreno hatte 1998 bei seinem ersten Besuch in Auschwitz beschlossen, den Opfern des Holocausts ein „lebendes Denkmal“ zu setzen, wie er es nennt. Er komponierte sechs der acht Sätze, dann fand er keinen Zugang mehr. „Ich war blockiert.“ Zehn Jahre später erst konnte Moreno die Arbeit abschließen.
Die Roma-Philharmoniker haben das Requiem im Mai des vergangenen Jahres in Amsterdam uraufgeführt, während der jährlichen Gedenkfeier anlässlich des Kriegsendes. Nie zuvor standen Roma in den Niederlanden so im Mittelpunkt. „Fast jede Roma-Familie hat Mitglieder im Dritten Reich verloren“, sagt Moreno. „Kein anderes Orchester kann dieses Werk mit so viel Hingabe spielen.“ Demnächst trifft er die niederländische Königin zum Kaffee. Er will sich bei den Mächtigen Gehör verschaffen – durch Musik.
„Es geht um mehr“
Riccardo Sahiti nutzt die Pause zwischen Generalprobe und Konzert für einen Spaziergang. Vor dem Rudolfinum bleibt er an dem Denkmal von Antonin Dvorák stehen. Seine Frau Elisabeth macht Fotos, greift seinen Oberarm und sagt, dass abends schon alles glattgehen werde. „Unser Projekt ist kein Geschäft, es geht um mehr“, sagt Sahiti. Sein Orchester hat in Deutschland keinen festen Konzertraum, kein Büro. Sahiti träumt von einem Musikverein für Roma, mit Chor, Ballett, Kulturcampus. Aber ihm fehlen die Mittel.
Allein das Konzert in Prag kostet 100? Euro, bezahlt von europäischen Förderern. Die meisten der etwa 1? Plätze im Rudolfinum gingen kostenlos an Initiativen gegen Diskriminierung, an Politiker, Stiftungen, Partner. Das gewöhnliche Konzertpublikum ist kaum vertreten. Die tschechischen Medien haben vorab über die Roma-Philharmoniker berichtet, sagt Jitka Jurková aus dem Organisationsteam: „Doch die politische Botschaft ist kaum transportiert worden. Sie wurden wie viele Roma als Exoten dargestellt.“
An diesem Dienstag wird das Orchester das Requiem in der Berliner Philharmonie aufführen, die Finanzierung ist erst seit wenigen Wochen gesichert. Sahiti wird weiter die Nächte durcharbeiten, Briefe mit Bitten um Spenden und Einladungen in seinen Computer tippen.
Alexandra Maria Neaga aus Bukarest ist mit 24 eines der jüngsten Mitglieder der Roma-Philharmoniker. „Durch das Orchester lerne ich viel über unsere Geschichte“, sagt sie. Sie hatte zuvor nicht wirklich über ihre Roma-Wurzeln nachgedacht. Neulich sprach ihr Großvater sie auf aktuelle Projekte an. Sie erzählte ihm von Riccardo Sahiti, er berichtete ihr von verblassenden Traditionen der Roma. „Das ist interessant“, sagt Neaga, die ihr Studium für Kontrafagott in München fortsetzen möchte, „aber entscheidend sind diese Fragen für die junge Generation nicht. Nicht mehr.“
Es gibt nicht viele Dinge, auf die Riccardo Sahiti so stolz ist wie auf sein Orchester. Am Abend während des Konzertes in Prag breitet er seine Arme aus, stampft auf das Pult, singt still mit den Solisten mit. Schweiß perlt von seiner Stirn, zwischen den Sätzen verharrt er einige Sekunden, sammelt seine Gedanken. Sahiti arbeitet, Sahiti genießt.
Das Requiem für Auschwitz endet mit leisen Glockenschlägen, wie Nebel löst sich der Klang auf. Langsam lässt der Dirigent seinem Arm sinken, der Applaus setzt ein und hört lange nicht auf. Sahiti strahlt, ein bisschen ungläubig, seine Musiker umarmen ihn, klopfen ihm auf die Schulter. „Wenn es einer verdient hat, dann du“, sagt der Geiger Johann Spiegelberg. Doch Riccardo Sahiti denkt schon an das nächste Konzert in Berlin, an die Bühne von Karajan, Abbado, Rattle. Auch auf diesen Moment hat er hingearbeitet, und wieder wird er Lampenfieber haben. Aber er weiß, dass Lampenfieber süchtig machen kann.
A Requiem For Europe’s Worst Prejudices, Behold The Gypsy Philharmonic
BY RONNY BLASCHKE
PRAGUE - A few minutes before the concert starts, Riccardo Sahiti says he can’t believe all this is real, that it’s not a dream. He’s standing in the ornate conductor’s room of the Rudolfinum in Prague – one of Europe’s premier concert halls. All around him are photographs of his idols – conductors such as Herbert von Karajan, Carlos Kleiber, Leonard Bernstein.
Sahiti is 51 years old but he’s as nervous as a schoolboy facing exams. He walks over to the piano, closes his eyes, plays the first few notes of the piece he’s about to conduct. His wife comes over to smooth out his full black hair. There’s a knock on the heavy wooden door, and when it opens the loud buzz of the audience chatting in the hall fills the room. Sahiti adjusts his coat jacket one last time, kisses his wife on the cheek, and heads for the conductor’s podium.
The concert is sold out, and Sahiti’s appearance is met with a long round of applause. On the podium, he looks the musicians in the eyes, smiles, and they smile back. Nearly 10 years ago to the day, Sahiti founded the Roma and Sinti Philharmonic. It started out as a small project, which was hardly taken seriously. Now Sahiti stands before 60 musicians, from Germany, Romania, Hungary. All the orchestra members belong to the ethnic minority called Roma or Sinti: Gypsies; some of them have been abused, others bullied. At the Rudolfinum, they are playing for the public, but also for themselves – and against centuries of stereotypes.
Riccardo Sahiti grew up near Pristina in Kosovo. Musically inclined, he was lucky to have wealthy parents who could afford to buy him a piano and send him to study at the conservatory in Belgrade. He practiced up to 15 hours a day, and in 1988 won a scholarship to study in Moscow.
When war broke out in Kosovo in 1992, he fled to Frankfurt where he auditioned for a place in several orchestras. He was always turned down. The director of one music school told him: “You have a lot of talent, but you don’t fit in here.” Sahiti asked if that was because of his Roma origins but didn’t get an answer. “It might have been a lot easier if I’d had been German or American,” he says.
At the start of the new millennium, Sahiti decided to engage in an original form of protest. He knew that there were a few Sinti and Roma musicians in the big orchestras like the Vienna State Opera, the Leipzig-based MDR Symphony (Germany’s oldest radio orchestra) and the Romanian National Orchestra. He invited them, and musicians who invited other musicians. He would let them stay in his apartment, and at night in his living room, crowded with concert posters and his record collection, they talked late into the night.
During the day, they rehearsed and handed out flyers. Then, after months of planning, in Nov. 2002 in Frankfurt, the Roma and Sinti Philharmonic gave its first concert. None of the musicians asked to be paid. “The concert hall was packed; people actually came out to hear us,” says Sahiti holding back tears.
Hiding their origins
Johann Spiegelberg was one of the original members of Sahiti’s orchestra. Spiegelberg has a Jewish mother and a father with Roma roots. Spiegelberg is not his real name, which he does not want revealed.
“I’ve had some bad experiences, I have to think of my son,” he says. He grew up in Romania, on the Black Sea coast, and received a first-class musical education. For two decades he has lived and worked in a large city in the eastern part of Germany where, he says, now and again people still make him feel he’s not one of them. He relates how recently he was on his way to a concert, wearing his coat jacket, and when he drove into a gas station to fill up his Mercedes a couple of youths spotted him and called over: “You people live well in Germany, at our expense.” He says he didn’t respond to the taunt.
The Sinti and Roma orchestra is a way of showing “that we’re not criminals,” Spiegelberg says, adding that this stereotype revolts him. And although famous Sinti and Roma like singer Marianne Rosenberg, jazz musician Django Reinhardt – and conductor Riccardo Sahiti – are made much of, according to Spiegelberg, many less well-known musicians of Sinti and Roma heritage keep quiet about it out of fear of prejudice. In Prague, for example, the orchestra had trouble renting double basses because rental firms thought they might never see the instruments again.
Passing on a cultural heritage
On the evening before the concert in Prague, some orchestra members gathered in the lobby of the hotel. They compared instruments, chatted about Beethoven and Schubert, sang, laughed. “It’s like a class trip,” Sahiti laughs. He says rivalries such as one sees in other orchestras are absent in this one because “we all want to pass on our cultural heritage.”
It is a considerable heritage. Over 80 operas were inspired by Roma. Jewish Klezmer music, Andalusian flamenco, the Cuban rumba were also all inspired by Roma. Despite this, Roma culture is often written off as being about little more than fiery violin players or Carmen in Bizet’s 1875 opera. In Germany, no state institution teaches Roma music or literature, or even the Romani language. Sinti and Roma were only recognized as one of Germany’s official minorities in 1997. The Philharmonic is the only orchestra of its type.
In Prague, the Philharmonic played the “Auschwitz Requiem,” a powerful piece for orchestra, four soloist singers and a choir, composed by Roger Moreno, a Swiss Sinto. “Writing it took so much energy, ” Moreno says. “I sometimes wonder how I was even able to finish it.”
He remembers being called a “smelly Gypsy” when he was in school, and that many doors were closed to him as a musician. So with his wife, he created an ensemble to play traditional music. After his first visit to Auschwitz in 1998 he decided to write what would be a “living monument” to Holocaust victims. “Very few people know that the Nazis murdered 500,000 Sinti and Roma,” he says. He wrote six of the eight stanzas of his requiem right away, then suffered ten long years of “composer’s block” before he was able to complete the work.
The Roma Philharmonic premiered the piece last May in Amsterdam during the annual celebrations marking the end of World War II. Never before in the Netherlands had the Roma received so much public attention: Queen Beatrix even invited Moreno for coffee.
The Philharmonic was signed up to play the “Auschwitz Requiem” at Frankfurt’s Old Opera House, with plans to play in Kracow and possibly Berlin in January. Much has to be improvised, as the orchestra has no permanent rehearsal space, no office. Sahiti dreams of creating a music association with a choir, ballet, and a cultural campus, but lacks financing.
The 100,000-euro cost of the Prague concert was paid for by European sponsors and Czech activist groups. Most of the tickets in the 1,000-seat concert hall were handed out free to people leading anti-discrimination initiatives, foundations, and politicians – there are hardly any “regular” concertgoers.
While the Czech media did report quite extensively on the orchestra’s appearance, says Jitka Jurková, a member of the organizing team, “they barely said a word about the political message. The orchestra was portrayed in the usual way, as something ‘exotic’.” She doesn’t believe that the concert will do much to decrease animosity to the Sinti and Roma.
But none of this is an issue on the night of the concert. Sahiti raises his arms; the music starts. How much he enjoys his work is clear to the last notes of the requiem, which ends with soft bell-like sounds. Slowly, Sahiti lowers his arms. The applause lasts for nearly 15 minutes. Tomorrow morning the orchestra moves on to Budapest to give a concert there.
As he moves about the empty stage collecting some sheet music forgotten by his musician colleagues, he looks up: ”This is just the beginning…”
Roma und Sinti Philharmoniker spielen Requiem für Auschwitz in der Berliner Philharmonie
Veröffentlicht von nh am 22. Januar 2013 in Dok.zentr. deutscher Sinti und Roma, Klassik
Am Dienstag, 29. Januar, um 20.30 Uhr führen die Roma und Sinti Philharmoniker unter der Leitung von Riccardo M Sahiti das „Requiem für Auschwitz“ g-moll op. 4 für Soli, Chor, Orgel und Orchester von Roger Moreno Rathgeb in der Berliner Philharmonie auf.
Wie kein anderer Ort ist Auschwitz symbolhaft mit den Völkermordverbrechen der Nationalsozialisten verknüpft. Das Requiem gedenkt aller Opfer, die in Auschwitz ermordet wurden, und ist gleichzeitig eine Hommage an das Leben. Der Komponist und Sinti-Musiker Roger Moreno Rathgeb lebt in den Niederlanden. Die meisten Musiker der Roma und Sinti Philharmoniker sind ebenfalls Angehörige der Minderheit und kommen eigens für das Requiem aus verschiedenen europäischen Ländern zusammen. Die fünf Solisten sind Roma aus Rumänien. Ihre Engagements an großen internationalen Bühnen weisen sie als bekannte und geschätzte Künstler aus. Der renommierte Kühn Chor aus Prag unter der Leitung von Marlek Vorlicek ist dem Projekt „Requiem für Auschwitz“ in besonderer Weise verbunden, da die Situation der Roma in der Tschechischen Republik in den letzten Jahren zunehmend besorgniserregender wurde.
Im Mai 2012 wurde das Requiem in Amsterdam uraufgeführt. Deutschlandpremiere war im November in der Alten Oper in Frankfurt am Main. Das Requiem wurde bereits in weiteren europäischen Städten aufgeführt und hat in Polen am 27. Januar in der Philharmonie in Krakau Premiere – ein Ort, der für den internationalen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus nicht besser hätte gewählt werden können. Die Berliner Aufführung zwei Tage später steht ebenfalls im Zeichen dieses Gedenktages und soll die Verbindung des Schicksals der Roma und Sinti mit den anderen Opfern des Holocausts unterstreichen.
Die Berliner Aufführung wird mit dem Stück „Kol Nidrei“ von Max Bruch eingeleitet. Bildprojektionen von Opfern des NS und zwei kurze Intermezzi durch die Rezitation von Zeugnissen Überlebender ergänzen die Musik. Der niederländische Sinto Zoni Weisz, Mitglied des niederländischen Auschwitz Komitees, und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, begrüßen die Gäste.
Die Realisierung des Berliner Konzerts wäre ohne die Kooperation mit dem niederländischen Botschafter Marnix Krop und die finanzielle Unterstützung des Auswärtigen Amtes, des Berliner Kultursenats, der Deutschen Bank, Air Berlin und der Deutschen Telekom nicht möglich gewesen. Das gesamte europäische Projekt „Requiem für Auschwitz“ steht unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs des Europarats, Thorbjørn Jagland, und wird unterstützt von dem Programm der Europäischen Kommission für Bildung und Kultur, der Kulturstiftung des Bundes, der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ sowie der Task Force für die internationale Kooperation bei Holocaust Bildung, Erinnerung und Forschung. Veranstaltet wird die Aufführung in Berlin von dem Philharmonischen Verein der Sinti und Roma Frankfurt am Main e.V., der Stichting Alfa, Tilburg (NL), und dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma e.V., Heidelberg.
Requiem für Auschwitz
Januar 27th, 2013 | Published in Geschichte & Gedenken, Musik, Veranstaltungen & Ausstellungen
Berliner Philharmonie
29.1.2013 um 20:30 Uhr
Roma und Sinti Philharmoniker
unter der Leitung von Riccardo M. Sahiti
Ihr habt nun Traurigkeit von Johannes Brahms
Kol Nidrei von Max Bruch
Requiem für Auschwitz von Roger „Moreno“ Rathgeb
Während des Requiems werden photographische Porträts von Opfern des nationalsozialistischen Völkermords projiziert und zwischen zwei Sätzen kurze authentische Zeugnisse von Überlebenden vorgetragen.
Requiem für Auschwitz – ein Denkmal aus Musik, Film, Bildern und Worten. Das Requiem für Auschwitz wird ein gemeinsamer Augenblick für Angehörige der Juden, Roma, Sinti und anderen Opfergruppen im Lichte der jüngsten Entwicklung in Europa sein. Es ist ein lebendiger Beweis für die Kraft der Kultur gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.
Der Konzertabend basiert auf der 2009 fertiggestellten Komposition Requiem für Auschwitz des Autodidakten und holländischen Sinto-Musikers Roger ‚Moreno‘ Rathgeb. Das Stück wird von den „Roma und Sinti Philharmonikern“ aus Frankfurt am Main unter der Leitung von Riccardo M. Sahiti aufgeführt. Das Requiem wurde am 3. Mai in Amsterdam uraufgeführt und ist seitdem in mehreren europäischen Städten gespielt worden. Das Konzert wurde dabei von verschiedenen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konferenzen und Dokumentationen begleitet und ergänzt. (Text: www.requiemforauschwitz.eu)
Roger „Moreno“ Rathgeb
Der niederländische Sinto-Musiker Roger „Moreno“ Rathgeb komponierte das Requiem für Auschwitz, ein Requiem zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Roger ‘Moreno’ Rathgeb ist ein Musiker. Wie viele Sinti-Musiker ist er ein Autodidakt. In fortgeschrittenem Alter lernte er Noten zu setzen und begann seine eigenen Werke zu komponieren. Vor einigen Jahren beschloss er den Opfern von Auschwitz ein Requiem zu widmen: eine sechzigminütige Komposition für ein Sinfonie-Orchester mit Chor und Solisten. Vor einiger Zeit begann er daran zu arbeiten, aber dann besuchte er Auschwitz und auf Grund der dadurch ausgelösten schmerzhaften Gefühle, war er lange in seiner Kreativität blockiert. Das Internationale Gypsy Festival bat ihn darum, seine Komposition bis Ende 2007 fertigzustellen, damit sie in verschiedenen Städten aufgeführt werden konnte. Diese Anforderung ehrte und inspirierte ihn zugleich. Mitte 2009 beendete er die Arbeiten am Requiem.
Die Komposition des Requiems
Das „Requiem für Auschwitz“ vom Komponisten Roger ‚Moreno‘ Rathgeb gibt Einblick in tiefste Emotionen wie Angst, Einsamkeit, Leid, Hoffnung und Verzweiflung und stellt sich die Frage nach dem Sinn der Dinge. Millionen verzweifelter Seelen müssen sich in dieser schlimmen Lage leidvoll geprüft gefühlt haben – erst betrogen, dann gedemütigt und gefoltert und schließlich brutal vernichtet.
Ein Besuch des Vernichtungslagers Auschwitz hinterließ bei ihm einen tiefen Eindruck: „Dann schreien die Stimmen der toten Seelen aus dem mit Asche bedeckten Boden in die Ohren des Besuches, dann greifen hilfesuchende Hände an seine Kehle.“ Dieses Erlebnis brachte ihn zu dieser Überzeugung: „Wenn das alles wirklich nach dem Willen Gottes geschehen ist, bin ich davon überzeugt, dass wir unsere heutige Freiheit all diesen gequälten Seelen verdanken.“ Deshalb ist es sein Herzenswunsch, dieses Requiem jenen Seelen zu widmen, in aller Demut und Dankbarkeit.
Mit diesem Requiem will er nicht nur den Verstorbenen gedenken, sondern auch versuchen ein lebendiges Denkmal der Versöhnung und des gegenseitigen Respekts zu schaffen, damit all diese Menschen nicht umsonst sterben mussten. Außerdem möchte der Komponist im Namen der Sinti und Roma einen musikalischen Beitrag zur Erinnerung an alle Opfer leisten.
Die lateinischen Texte stellen auf Grund ihrer Neutralität das perfekte Bindeglied für die musikalische Äußerung dar. Religiöse Konnotationen sind unerheblich, da die Texte von allen Kulturen ihren eigenen Überzeugungen nach verstanden werden können.
Aufbau
Der Komponist hat die Emotionen und wesentlichen Fragen über Auschwitz in eine ebenbürtige Menge von Motiven umgewandelt, die sich in verschiedenen Instrumenten und Gesang ausdrücken und entsprechend ihrer Stellung in der Komposition unterschiedliche Bedeutungen oder neue Kontraste hervorrufen.
Schon das Vorspiel beginnt dramatisch: unheilvolle Gefühle der Hilflosigkeit, Angst und Vorahnung mischen sich mit dramatischen Hilferufen. Aber ein Requiem ist auch ein Gebet, in dem die Menschen um Gnade bitten. Die Komposition enthält Gebete für und von den Opfern selbst. Das darauf folgende „Dies Irae, Dies Illa“ stellt eine durch Verzweiflung getriebene Anklage an den Herrn dar und gleichzeitig einen hoffnungslosen Hilferuf. „Domine Jesu“ ist ein Plädoyer dafür, sich für den ewigen Frieden zu entscheiden anstatt für die Hölle.
„Sanctus“ und „Benedictus“ verschmelzen zu einer freudigen Lobpreisung des Herrn und drücken die Dankbarkeit für das Überleben eines weiteren Tages oder für eine weitere Mahlzeit aus. Im „Agnus Dei“ symbolisiert das Lamm Gottes das Leiden für die Sünden der gesamten Menschheit. Hier lässt der Komponist die Opfer für ihre Peiniger beten: „Herr, bitte vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Das folgende „Lux Aeterna“ ist ein weiteres Gebet um ein Ewiges Licht für die Verstorbenen und ein Aufruf an uns alle, auch für die Opfer zu beten. Ein weiteres Gebet von und für die Opfer: „Libera me, Domine, de morte aeterna“ („Rette mich, oh Herr, vor dem ewigen Tod“). Es wird begleitet von dem lauten „Libera Me“, einer Wiederholung des „Dies Irae“, gefolgt von einem „Amen“ des Chors.
Professionelle Komponisten und Dirigenten wie Jiři Stárek (Tschechische Republik), Jeff Hamburg (USA), Jean Lambrechts (Belgien) und Riccardo M. Sahiti (Deutschland) haben die Komposition kommentiert und lobten deren Qualität sowie die Motive des Komponisten.