REQUIEM FÜR AUSCHWITZ
von Roger Moreno-Rathgeb

Erläuterungen

Erläuterungen des Komponisten

Wie im Vorwort bereits erwähnt soll dieses Requiem ein Werk zum Gedenken aller gefallenen Opfern von Auschwitz sein, egal welcher Nation, welchem Volke oder welcher Religion sie angehörten. Sie alle hatten in gleichem Masse gelitten. Sie alle mussten durch die selbe irdische Hölle, um schlussendlich qualvoll ihr Leben hergeben zu müssen.

Sie alle hatten gebetet zu ihrem jeweiligen Herrn. Dankgebete in kurzen Lichtblicken der Hoffnung. Flehende Gebete in Zeiten der Dunkelheit und der Ratlosigkeit. Manch einer wird wahrscheinlich in Momenten der Hoffnungslosigkeit und Resignation sogar an seinem Herrn gezweifelt haben.

“Wenn es einen Gott gibt, warum lässt er dies denn nur zu?” wird sich manch einer in einer mutlosen Situation verzweifelt gefragt haben. “Warum müssen wir endlose Qualen erleiden, und unsere Peiniger lässt er unbehelligt ihre Taten vollbringen?”

Um Abends vor dem Schlafengehen wieder ein Dankgebet auszusprechen für die Schenkung dieses Tages. Um wieder Hoffnung zu schöpfen für das Überleben eines weiteren qualvollen Tages.

Manch einer wird wohl auch für die Erlösung durch seinen Herrn gebetet haben. Die Erlösung von seinen Qualen. Endlich Ruhe und Frieden. Keine Schmerzen mehr. Ein Flehen im dunkelsten Moment der Hoffnungslosigkeit.

Die Erlösung kam in Form einer Gewehrkugel , dem Galgen, oder Gas.

Unzählige haben sich in ihrer Resignation in die elektrischen Zäune geworfen. Sie hatten nicht mehr die Kraft, um weiter zu leiden.

Jene, welche stark in ihrem Glauben waren, bissen ihre Zähne zusammen und nahmen ihre Qualen hin, fest im Glauben, dass ihr Herr sie lebend durch diese Hölle auf Erden führen werde. Dass sie dem Tode entrinnen würden um Willen ihrer Eltern, Kinder, Enkelkinder, ihrer Familie.

Manch einer wird wohl vor seinem Herrn für Rache und Vergeltung gebetet haben. In Momenten des Zornes, in Augenblicken der Auflehnung. Wie hiess es doch? “Auge um Auge, Zahn für Zahn”.

Jedoch, darf man den Herrn um Rache bitten? Sollte man nicht die linke Wange darbieten, wenn man auf die rechte geschlagen wurde? Gelten all diese Gebote wohl noch in solch einer Situation? Wo ist die Gerechtigkeit ? Was ist Gerechtigkeit ?

“Vater, bist Du bei uns? Warum hast Du uns verlassen?” Berühmte Worte, die schon vor fast 2000 Jahren einst ausgesprochen wurden. Worte, die seither niemals mehr so oft ausgesprochen wurden wie eben da - in Auschwitz. Und zur selben Zeit auch in Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Sobibor, Treblinka, Chelmno, und vielen anderen Arbeits- und Vernichtungslagern.

Fragen über Fragen. Millionen mal durch den Tod unbeantwortet geblieben. Oder manchmal eben durch den Tod beantwortet.

Alle sind sie getäuscht worden. Alle haben sie gelitten, haben Todesängste ausgestanden. Für viele war der Tod die Erlösung ihrer Qualen.

“Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.” Auch diese Worte sind da wohl tausendfach ausgesprochen worden. 2000 Jahre alte Worte, die nie so aktuell waren wie eben da - in Auschwitz.

Viele sahen in ihrem Tod eine Strafe für ihre begangenen Sünden. Waren sie gläubig? Oder suchten sie darin einfach nur eine Rechtfertigung ihres Schicksals?

Viele sahen in ihrem Tod eine Ungerechtigkeit, welche Unser Herr doch eigentlich niemals hätte zulassen dürfen. Falls es ihn denn gibt.

Fragen, Hoffnung, Ratlosigkeit, Glauben, Zweifel, Resignation. Millionenfach. Und jeder war damit allein. Allein - nur mit sich selbst und seinem Herrn.

Eben all diesen Seelen soll diese Totenmesse gedenken. Sie alle sollen eine Mahnung sein. Eine Mahnung an die Welt, Menschenleben und Menschenwürde zu achten, Glaubensüberzeugungen zu respektieren und Gerechtigkeit walten zu lassen.

Und wenn all dieses wirklich nach dem Willen eines Gottes geschehen ist, dann bin ich des Glaubens, dass wir heute all jenen geschundenen Seelen unsere heutige Freiheit zu verdanken haben.

Darum hatte ich den innigen Wunsch, all jenen Seelen in Dankbarkeit dieses Requiem erschaffen zu können. So Gott will, wird er diesen meinen Wunsch erhören und dafür sorgen, dass wir alle in Demut und Dankbarkeit überzeugt sein können, dass all diese Menschen nicht umsonst ihr Leben lassen mussten. 
    


Erläuterungen des Komponisten zur Wahl der musikalischen Form

Als in mir die Idee und der Wunsch aufkam, ein Werk zu schaffen zum Gedenken an die verstorbenen Seelen von Auschwitz, da überlegte ich lange, wie ich diese Idee musikalisch umsetzen könnte.

In 1998 - zur Zeit, als diese Idee in mir wuchs - war ich bereits seit 27 Jahren Berufsmusiker. Berufsmusiker im Sinne von Instrumentalist als ausführender Musiker. Ich hatte weder eine musikalische Ausbildung erhalten, noch ein Studium als Komponist absolviert. Alle Instrumente, welche ich zu jener Zeit bespielen konnte, hatte ich mir selbst in autodidaktischer Weise angelernt.

Erst in der Periode zwischen 1991 bis 1993, wo ich eine zeitlang einige private Geigenstunden erhielt, wurde ich zum ersten Mal bewusst mit der Notenschrift konfrontiert. Dadurch eröffnete sich mir ein neuer Horizont.

Fasziniert durch diese Erweiterung befasste ich mich weiter mit dieser Materie durch das Lesen verschiedenster literarischer Werke über die “Allgemeine Musiklehre”.

Bis 1998 hatte ich bereits bis etwa 80 Lieder und Songs in den verschiedensten Stilrichtungen komponiert (Volksmusik, Jazz, Pop, u.s.w.).

Seit 1995 - als meine musiktheoretischen Kenntnisse bereits etwas fortgeschrittener waren - wuchs in mir der Wunsch, irgendwann auch einmal klassische Werke komponieren zu können. Im selben Jahr unternahm ich dann auch meine ersten zaghaften Schritte in diese Richtung.

In 1998 schliesslich - als die Idee zu diesem Werk in mir wuchs - überlegte ich also, wie ich diese Idee musikalisch umsetzen könnte. Wie ich meinem Wunsch, den verstorbenen Seelen von Auschwitz ein lebendes Denkmal zu errichten, Gestalt geben könnte. Wie ich zugleich Glauben, Hoffnung, Schmerz, Wut, Trauer, Ratlosigkeit  Resignation und Anklage am besten ausdrücken könnte.

Durch meine freizeitliche Mitwirkung in einem Männergesangsverein in Maastricht, wo auch regelmässig kirchliche Werke gesungen werden, kam ich auf die Idee für die Form eines Requiems (Totenmesse).

Da ich jedoch keiner Glaubensrichtung angehöre - und dadurch also auch kein Kirchengänger bin - musste ich mich erst einmal näher informieren, was ein Requiem beinhaltet und wie es aufgebaut sein sollte.

Als ich mir dieses Wissen durch Lesen und Befragung unzähliger Bücher und kompetenter Menschen angeeignet hatte, stellte sich die Frage der Instrumentation und Orchestration. Da ich jedoch - wie anfangs schon erwähnt - nicht über ein Studium für Komposition verfüge, und auch sonst keine Erfahrungen mit einem klassischen Orchester habe, vertiefte ich mich erst einmal in verschiedene kompetente literarische Werke über Instrumentation und Orchestration.

Ich bin mir jedoch des Vollsten bewusst, dass jedes therotische Bestudieren jedes noch so kompetenten literarischen Werkes allein niemals die jahrlange Erfahrung eines Orchestermusikers, eines kompetenten Dirigenten,  oder eines professionellen Komponisten ersetzen kann. Deshalb befürchte ich, dass für etablierte Analytiker und Kritiker sicherlich kompositionstechnische, satztechnische, formtechnische oder orchestrationstechnische Mängel zu finden sein werden.

Da es jedoch nicht mein Bestreben war, ein kompositionstechnisch brilliantes oder perfektes Werk zu erschaffen, sondern einfach nur ein Werk zum Gedenken verstorbener Seelen, und um mit Hilfe musikalischer Mittel gewisse Stimmungen und Gefühle hervorzurufen, so hoffe ich, dass mir dies mit meinen bescheidenen  theoretischen Kenntnissen und beschränkten musikalischen Mitteln  dennoch gelungen ist.   

      
      



Erläuterungen des Komponisten zur Wahl des Textes

Als ich mit der Arbeit zu diesem Requiem begann, zweifelte ich lange, welchen Text ich dafür wählen sollte, und in welcher Sprache er gesungen werden sollte.

Da ich den Wunsch hatte, ein Requiem für alle verstorbenen Seelen von Auschwitz zu schreiben, egal welchem Glaubensbekenntis und welcher Religion sie angehörten, war dies für mich eine komplizierte Frage.

Sollte ich den offiziellen liturgischen Text der katholischen Kirche verwenden? Und warum gerade den liturgischen Text der katholischen Kirche? Wurden da in Auschwitz doch auch Reformierte, Protestanten, Juden, Muslime und Menschen anderer Glaubensrichtungen des Lebens beraubt.

Und falls ich diesen Text gebrauchen sollte; in welcher Sprache soll er vorgetragen werden? In Englisch, der offiziellen Weltsprache? Es kamen da in Auschwitz ja auch Menschen verschiedenster anderer Nationen ums Leben. Franzosen, Holländer, Polen, Russen, Tschechen, Ungaren, u.s.w. . Ja, sogar auch viele Deutsche.

Aber Deutsch kam für mich nicht in Frage. Erstens, weil es deutsche Kriminelle waren, welche jenen Wahnsinn angerichtet hatten. Und zweitens, weil ich weiss, dass auch heute noch bei millionen von Angehörigen der Opfer von Auschwitz - vorsichtig ausgedrückt - ein unbehagliches Gefühl und selbst auch noch Wut aufsteigt, wenn man den Namen "Auschwitz" zusammen mit “Deutsch” in einem Satz verwendet.

Ich war darum der Meinung, dass ich eben diese Menschen zutiefst kränken oder verletzen würde, wenn ich das Gedenken an ihre verstorbenen Familienmitglieder in Deutsch verfassen würde.

Sollte ich den Text ins “Romanes” übersetzen, der Sprache der Sinti und Roma? Das Werk sollte ja immerhin auch einen Beitrag zum Gedenken an den Holocaust im Namen der Sinti und Roma darstellen. Aber dann stellte sich die Frage: in welchem Dialekt? Es gibt tausende.
Und da kam in mir auch der Zweifel auf, in “Romanes” könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dieses Requiem sei nur den Sinti und Roma gewidmet.
Dabei soll es allen Völkern gewidmet sein, welche da in Auschwitz ihre Angehörigen zurücklassen mussten.

Oder sollte ich einen eigenen Text verfassen? Einen Text, der mit Religion, Völker oder Nationen nichts zu tun hat? Der sich nur auf die Fakten richtet und zugleich Gedenken, Mahnung und Anklage ausdrücken sollte?

Dann jedoch würde ich wiederum all jenen Opfern nicht gerecht werden, welche für ihren Glauben, ihre Anghörigkeit zu einem gewissen Volk oder einer gewissen Nation, oder für ihre Andersgesinntheit sterben mussten.

Eine äusserst schwierige Frage also, welche mich lange beschäftigte.

Schliesslich kam ich auf die Idee, um mir aus Bibliotheken verschiedene Werke verschiedener klassischer Komponisten zu leihen und diese zu lesen. Daraus konnte ich entnehmen, dass die meisten Requiems in lateinischer Sprache verfasst und im Sinne der Liturgie aufgebaut wurden.  

Da ich jedoch weder Kenntnisse in der lateinischen Sprache noch über den Aufbau der Liturgie hatte, war ich immer noch ratlos.
Bis ich in der Partitur des Requiems von Giuseppe Verdi den lateinischen Text auch in englischer und deutscher Übersetzung fand.

Zum ersten Mal kriegte ich einen Einblick in den Inhalt des Textes. Und weil ich beim Komponieren jene Weise bevorzuge, einen bereits vorgeschrieben Text musikalisch zu bearbeiten, hatte ich beschlossen, jene Textfassung von Giuseppe Verdi als Vorlage zu gebrauchen.

So kam ich schlussendlich auch zu der Entscheidung, den lateinischen Text zu verwenden.
Lateinisch, weil diese Sprache nicht an ein Volk oder eine Nation gebunden ist.

Ich bin mir dessen bewusst, dass der lateinische Text auf die Liturgie der katholischen Kirche bezogen ist.  
Da ich jedoch der Meinung bin, dass auch die Texte der Bibel, der Tora, des Korans und vieler anderer Heiligen Bücher bisher auf verschiedenste Art und Weise empfunden, ausgelegt und interpretiert wurden, so bin ich der Meinung, dass man auch den Text der Liturgie auf verschiedenste Art und Weise empfinden und interpretieren kann. Dies beweisen ja schliesslich bereits unzählige Messewerke verschiedenster berühmter Komponisten verschiedenster Glaubensüberzeugungen in der ganzen Welt.

Angesichts der Vielheit der verschiedenen Glaubensüberzeugungen damals in Auschwitz musste ich schlussendlich eine Wahl treffen.

Ich hoffe, man nimmt es mir nicht übel, dass ich mich für diese Form entschieden habe. Denn der Text diente mir vor allem als Vorlage, um mich dementsprechend musikalisch ausdrücken zu können. Das Werk soll schlussendlich eine Stimmung der Einkehr, des Gedenkens, des Gebetes, der Tragik und der Mahnung hervorrufen. Im Namen aller Opfer des Holocausts im Allgemeinen, und der Opfer von Auschwitz im Speziellen.

 

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