JEWISCH NEWS ONE
Requiem for Auschwitz, for all the victims. A symphonic concert with the Frankfurt Roma and Sinti philharmonic orchestra premiers here at the historical Frankfurt Opera House. The Requiem for Auschwitz has been composed by a Sinti Gypsy musician, however it’s becoming a monument to all the victims of the Auschwitz.
Roger Moreno Rathgeb, Composer:
"I hope that people remember what happened in the war and I hope that they try to learn a little bit from that history to be a little bit more tolerant, to respect each other."
Requiem for Auschwitz is a classical choral symphony for orchestra, choir and four soloists.
David Bubani, Classical Singer:
"And while doing and singing this you can just feel the vibes and we are really sending this vibes towards the public and the audience they can really hear that and they can feel that."
- Why did you come to this concert?
Till Kauffmann, High School Teacher:
"Why did I come to this concert? I sometimes work with Roma children, Roma juveniles, and just at the moment I have a young Roma pupil."
Requiem for Auschwitz is a compelling statement about human suffering. It contributes to the awareness rising of the tragedy that struck the Roma and Sinti Gypsies during the Nazi regime. Around half-a-million Roma and Sinti Gypsies were killed by the Nazis; this part of history is hardly known among the public at large.
Roger Moreno Rathgeb, Composer:
"It was my visit in Auschwitz in 1998 and it was a shocking thing what I was there which made me write such musical work, because I wanted to make something for those people who had to die there to remember them."
David Bubani, Classical Singer:
"When I read and I saw the composition for the first time I said 'Oh! This is something that the divine source the God sent this man, the composer Roger Moreno Rathgeb, to this world'."
Awareness of the “forgotten Gypsy holocaust” is essential in combating current anti-Gypsy actions in Europe. The Roma and Sinti are the largest minority in the European Union and are currently victims of serious discrimination, deportations, killings, and pogroms in many countries.
David Bubani, Classical Singer:
"It’s very sad to say so because this is a folk that has enormous potential, it has enormous possibilities to develop in a very nice world but not for the time being because they are discriminated all over the world and particularly in Europe and this is very sad."
To prevent the holocaust from happening again, we need to remember that the holocaust happened because of racism and with the far right on the rise in Europe memories of the holocaust are beginning to fade away especially among young people. A recent survey, published in the German magazine Stern, shows more than a fifth of young Germans do not know the name of Auschwitz or what happened there. Twenty one per cent of people aged between 18 and 30 had not heard about the most notorious Nazi extermination camp, the survey revealed.
Till Kauffmann, High School Teacher:
"It is very important not only to inform in schools, so I find that concerts and to do it in music and to do it in art is perhaps another way to reach some people who didn’t paid attention at school."
A Requiem for Auschwitz, for all the victims.
Wilson Ruiz, JN1, Frankfurt Opera House
FRANKFURTER NEUE PRESSE
Der Albtraum des Lagers
Die Roma- und Sinti-Philharmoniker führten ein "Requiem für Auschwitz" in der Alten Oper
Frankfurt auf.
Rund 500 000 Roma- und Sinti-Angehörige verloren in Auschwitz – zumeist im Lager Birkenau – ihr Leben. Das "Requiem für Auschwitz", das der niederländische Sinti-Komponist Roger Moreno Rathgeb zwischen 1998 und diesem Jahr komponiert hat, ist aber nicht nur ihnen sondern allen Auschwitz-Opfern gewidmet.
Das Werk für großen Chor, Orchester und vier Solisten fühlt sich beim ersten Hinhören konventionell, aber auch konsequent an. Über der Musik scheint eine bleierne Schwere zu liegen, ein Albdruck. So erscheint denn auch das "Dies irae" sehr zurückgenommen, introvertiert. Die zuweilen feierliche Atmosphäre im Gedenken an die Opfer wird durch den Einsatz der großen Saalorgel (Ieromin Buga) noch verstärkt. Irina Baiant (Sopran), Emanuela Pascu (Mezzosopran), Florian Costea (Tenor) und David Bubani (Bariton) hießen die Solisten, die insbesondere die zahlreichen Quartette – so im "Agnus Dei" – in eindrucksvoller Ausgewogenheit gestalteten. Begleitet wurde die Musik von großformatig eingeblendeten Fotografien in Auschwitz umgekommener Menschen, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholten. So konnte der Zuhörer im Laufe des einstündigen Requiems fast ein Verhältnis zu jedem Einzelnen entwickeln.
Begonnen hatte das von Riccardo Sahiti geleitete Konzert mit einem konzentriert vorgetragenen "Ihr habt nun Traurigkeit" aus dem "Deutschen Requiem" von Johannes Brahms sowie "Kol Nidrei" von Max Bruch mit dem Cello-Solisten Rodin Moldovan. (Ge)
Artikel vom 30. November 2012, 03.21 Uhr (letzte Änderung 01. Dezember 2012, 04.27 Uhr)
DEUTSCHE WELLE
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Sinti- und Roma-Orchester erinnert an Holocaust
Mit einer leise verhallenden Totenglocke endet das "Requiem für Auschwitz". Roger Moreno Rathgeb schrieb es für die Opfer des Nazi-Völkermordes, vor allem aber für eine vergessene Gruppe unter ihnen, die Sinti und Roma.
Generalprobe in der Alten Oper, Frankfurt. Auf den Notenpulten das “Requiem für Auschwitz“ des Sinti-Komponisten Roger Moreno Rathgeb, am Dirigentenpult Riccardo Sahiti. Er hebt den Taktstock und begrüßt die Musiker seiner Sinti- und Roma-Phiharmoniker in den verschiedensten Sprachen: Denn die Orchestermitglieder stammen aus ganz Europa und gehören einer bis heute als "Zigeuner" diskriminierten Minderheit an.
Komponist Roger Moreno Rathgeb am Akkordeon
Riccardo Sahiti selbst ist Roma und gebürtiger Kosovare aus der Nähe von Pristina. Den Wunsch Musiker zu werden, hatte er schon als kleines Kind. Er lernte Klavier und studierte Dirigieren in Belgrad, in Moskau und ab 1992 bei Jiri Starek in Frankfurt. Nach seinem Abschluss bewarb er sich bei vielen Orchestern um Anstellung. Doch er bekam nur Absagen.
“Ich habe bei exzellenten Dirigenten studiert“, sagt Riccardo Sahiti, “aber niemand wollte mir Arbeit geben. Ein Leben als Dirigent war damals für mich einfach unmöglich.“ Sahiti fragte zwar immer wieder nach, ob die Abweisung mit seiner Roma-Herkunft zu tun habe, eine Antwort erhielt er aber nicht.
Lebenstraum erfüllt
Riccardo Sahiti gab nicht auf – im Gegenteil: Ihm wurde klar, dass er gegen diese Vorverurteilungen von Sinti und Roma protestieren musste, und das am besten mit Musik. Denn Sahiti glaubt fest an die Kraft der Musik. “Dann hatte ich die Idee“, erzählt er. “Ich wusste, viele Sinti und Roma spielen in den großen Orchestern Europas, in Budapest, Belgrad, Wien, München, Leipzig, Frankfurt oder Brüssel. Warum nicht all diese Musiker in einem Orchester vereinen? Wir müssen zusammenspielen, als Sinti und Roma in die Öffentlichkeit gehen.“
Der Dirigent Riccardo Sahiti
Er gründete in Frankfurt einen Förderverein und erfüllte sich dann 2002 mit der Gründung der Sinti- und Roma-Philharmoniker einen Lebenstraum. Schnell hatte er die ersten Musiker für sein Projekt gefunden. Und der Erfolg des Gründungskonzerts in Frankfurt im November 2002 gab ihm Recht: “Wir haben damals ganz klein angefangen“, erinnert sich Sahiti. “Nur mit Streichern, mit 25 Leuten. Und das Konzert war ausverkauft und hat über vier Stunden gedauert.“
Anspielen gegen Klischees
Radovan Krstic, Kontrabassist aus Serbien, ist Orchestermitglied der ersten Stunde. Für ihn ist die Existenz eines solchen Minderheiten-Orchesters nach wie vor eine Notwendigkeit: “Europa braucht dieses Orchester“, erklärt er. “Wir sind Sinti und Roma und wir sind stolz auf unsere Kultur. Aber in vielen Ländern Europas werden wir immer noch als 'Zigeuner' diskriminiert. Mit unserer Musik aber können wir gegen solche Klischees anspielen“.
Davon ist auch Sebastian Burnic überzeugt. Der junge Trompeter stammt aus Rumänien und ist erst seit kurzem bei den Sinti- und Roma-Philharmonikern, die mittlerweile aus rund 80 Mitgliedern bestehen. Ein Musiker hatte ihm von dem Projekt erzählt und ihn eingeladen mit zu spielen. Und Sebastian musste nicht lange überlegen: “Es ist nicht nur musikalisch ein phantastisches Orchester“, erzählt er. “Noch wichtiger ist, denke ich, unsere Botschaft, die weit über die Musik hinausreicht.“
Die Sinti- und Roma Philharmoniker
Werk für die Ewigkeit
Mit dem "Requiem für Auschwitz" ist das Orchester seit Mai auf Europa-Tournee. Das Konzert in Frankfurt war die erste Station in Deutschland. Der Autodidakt Roger Moreno Rathgeb hat das eindrucksvolle Werk für Solisten, Chor, Orgel und großes Orchester eigens für die Sinti- und Roma-Musiker geschrieben. Auslöser war ein Besuch im berüchtigten "Zigeunerlager" des nationalsozialistischen Konzentrationslagers in Auschwitz. "Natürlich hatte ich schon vorher viel über Auschwitz gelesen", schildert Rathgeb. "Aber, wenn man dann selber durch das Tor mit der Aufschrift 'Arbeit macht frei' geht, dann stürzen die Gefühle auf einen ein. Und man denkt nur: Ich komme unbehelligt hier wieder raus. Die Leute damals konnten das nicht mehr." Für Rathgeb gab es damals nur einen Gedanken - er wollte durch ein musikalisches Denkmal an den Völkermord der Nazis in Auschwitz erinnern: "Dem Tod dieser vielen Menschen haben wir auf gewisse Weise die Freiheit zu verdanken, in der wir heute leben."
Aufschrei der Gefühle
Für Riccardo Sahiti ist das "Requiem für Auschwitz" ein Werk für die Ewigkeit. Es bedeutet nicht nur Gedenken, sondern es richtet den Blick auch nach vorn: "Einerseits ist das Werk Erinnerung an die Menschen, deren Leben in den Gaskammern der Nazis vernichtet wurden", erklärt Sahiti.
"Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Friedensgebet, ein Appell für die Zukunft. Wir brauchen keinen Krieg, wir brauchen Frieden. Und ich denke, das Requiem hat die Kraft dazu etwas beizutragen, dass die Menschen künftig friedlicher miteinander leben."
DEUTSCHE WELLE
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"Requiem für Auschwitz"
Roger Moreno Rathgeb hat ein musikalisches Werk gegen das Vergessen komponiert. Ein Gespräch über Teufelsgeiger-Klischees und den Mut zur Erinnerung
DW: Herr Moreno Rathgeb, Sie selbst kommen aus einer Sinti-Familie. Seit Jahren spielen Sie in unterschiedlichen Jazz-Bands und komponieren. "Requiem für Auschwitz" ist ihr erstes klassisches Werk, das aufgeführt wurde. Wie ist dieses Stück entstanden?
Die Idee kam mir, nachdem ich 1998 das erste Mal in Auschwitz war. Bis dato hatte ich über den Holocaust nur Bücher gelesen oder das Schrecken auf der Kinoleinwand gesehen. Es war immer eine Distanz da. Aber wenn man durch diese Pforte geht, wo in großen Buchstaben "Arbeit macht frei" steht, da spürt man den Schmerz ganz unmittelbar körperlich. Das hat mich umgehauen.
Haben Sie selbst Verwandte in Auschwitz verloren?
Nein, meine Familie lebte zu diesem Zeitpunkt Gott sei Dank in der Schweiz. Aber Hunderttausende andere Sinti und Roma sind dort umgekommen. Es machte mich wütend, dass dort zwar überall Fotos von jüdischen Opfern zu sehen waren, aber nirgends ein Schild, das zum Lager der Sinti und Roma führte. Wenn die Rede vom Holocaust ist, dann denkt man meistens an die jüdischen Opfer, was ich auch nachvollziehen kann. Dabei hat auch mein Volk gelitten, Sinti und Roma sind auch gestorben. Sie haben auch ein Anrecht auf Gedenken.
Gegen das Vergessen - das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin
Nach jahrelangen Diskussionen ist vor einigen Wochen in Berlin das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma präsentiert worden. Wie finden sie es?
Ich war sogar bei der Eröffnung dabei, und das Denkmal gefällt mir sehr gut. Vor allem, weil das Wasser dabei so eine zentrale Rolle spielt. Wissen Sie, in Auschwitz befand sich das Lager für die Sinti und Roma, ganz abgelegen in der Nähe eines kleinen Weihers. Dort haben die Nazis die Asche jener Menschen reingeschmissen, die sie umbrachten. Deswegen schimmerte das Wasser schwarz. Daran erinnert mich das Denkmal in Berlin. Es ist ein Symbol gegen das Vergessen, genauso wie mein Requiem. Übrigens ist es das erste musikalische Werk, das sich mit dem Holocaust auseinandersetzt und die Perspektive der Sinti- und Roma in den Mittelpunkt stellt.
Aber wie schreibt man solch ein musikalisches Erinnerungswerk?
Das war ein sehr langer Prozess des Nachdenkens. In was für eine Form gießt man das Ganze? Geht das überhaupt? Ich habe ja keine professionelle, musikalische Ausbildung. Dann hat mir jemand geraten, ich solle doch ein Requiem schreiben. Ich ging nach Hause und dachte "Was ist denn ein Requiem?" Ich hatte keine Ahnung und musste erst einmal nachschlagen, wie man so etwas komponiert, wie der Aufbau ist, worauf man achten muss. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht christlich bzw. religiös erzogen worden bin.
Was war ihnen musikalisch wichtig?
Vor allem wollte ich dissonante Töne vermeiden. Wenn man an Musik und Auschwitz denkt, erwarten die meisten etwas Düsteres, schräge Töne, ein Stück voller Dissonanzen und Disharmonien. Gerade das wollte ich aber nicht. Mein Requiem klingt harmonisch und melodiös.
Die Sinti & Roma Philharmoniker spielen "Requiem für Auschwitz"
Hat Ihr Werk auch eine politische Ebene?
Ich selbst wollte gar nicht das Stück politisieren. Es sollte ursprünglich nur eine Ehrung der Ermordeten sein, eine musikalische Erinnerung. Aber gut, man kann es bei dieser Thematik nicht verhindern, dass politische Motive reininterpretiert werden. Die angenehme Nebenwirkung dieser Komposition ist ja, das man mit so einer Musik auch die Leute in der Politik erreicht, die an den entscheidenden Stellen sitzen und auch etwas verändern könnten. Und wenn man sie zum Nachdenken bringt, dann ist das doch ein toller Nebeneffekt.
Finden sich in diesem klassischen Orchesterwerk auch Elemente aus der Sinti- und Roma-Musik?
Natürlich. Es gibt ein immer wiederkehrendes Motiv, angelehnt an unsere traditionelle Musik. Besonders am Anfang des Stücks, im Präludium, spielt es eine dominante Rolle. Ich wollte, dass es dem "Schrei der Zigeuner" im Lager ähnelt. Und dieses musikalische Element durchzieht das ganze Werk – manchmal hört man es im Chor, manchmal bei den Bläsern. Es ist ein kleiner musikalischer Mosaikstein inmitten eines großen Werkes. Und das ist für mich auch symbolisch gemeint. Denn unser Volk ist ja auch eine kleine Minderheit innerhalb der großen Gesellschaft.
Gibt es eine Verbindung zwischen klassischer Musik und der traditionellen Musik der Sinti und Roma?
Natürlich, nur den Wenigsten ist das bewusst. Denken Sie nur an die "Ungarischen Tänze" von Brahms, die "Ungarische Rhapsodie" von Liszt oder die Bizets Oper "Carmen". Das sind alles weltberühmte, klassische Stücke, die von unserer Sinti- und Roma-Musik inspiriert worden sind.
Bei Sinti- und Roma-Musik denken viele an folkloristische Klänge und das Klischee vom "Teufelsgeiger". Nervt Sie das?
Klar. Das passiert automatisch. Deswegen ist es toll, dass es die Sinti- und Roma Philharmoniker gibt, die mein Requiem jetzt aufgeführt haben. Die Zuschauer staunen auf einmal, dass es auch fantastisch ausgebildete klassische Orchestermusiker gibt und dass wir nicht nur auf der Straße spielen können, sondern auch in einem Konzerthaus.
Geballte Emotionen - Komponist Roger Moreno Rathgeb und der Dirigent Riccardo M. Sahiti nach der Aufführung
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Sinti & Roma Philharmonikern?
Ich traf 2004 den Dirigenten Riccardo M. Sahiti zufällig auf einer Weihnachtsfeier. Er erzählte mir von seinem Orchester. Und ich erzählte ihm, dass ich gerade mit einer Komposition beschäftigt war, ein Requiem für Auschwitz. Damals hat Riccardo das gar nicht so ernst genommen, weil bei ihm ständig Leute ankommen, die glauben komponieren zu können. Er änderte aber seine Meinung, als ich ihm 2007 einen ersten Entwurf des Requiems schickte.
Ihr Stück wurde in diesem Jahr in Amsterdam uraufgeführt und feierte gerade in Frankfurt die Deutschland-Premiere. Wie war es für Sie ihre Musik das erste Mal in einem großen Konzertsaal zu hören?
Unglaublich! Ich kannte bis dahin nur die elektronische Version auf dem Computer. Das ist natürlich nicht dasselbe. Am Rechner kann man die Akustik gar nicht einschätzen. Es war für mich sehr spannend, zu sehen, ob das alles auch mit Orchester so klingt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und das hat es!
Gab es schon erste Reaktionen auf Ihr Stück?
Oh ja! Ich bekam kurz nach der Uraufführung einen Brief von einer älteren Dame aus Holland. Sie schrieb mir, dass sie als junges Mädchen anderthalb Jahre in einem Lager in Theresienstadt war und überlebte. Danach hatte sie anscheinend eine panische Angst vor allem, was deutsch war. Sie sah unsere Aufführung zufällig im Fernsehen. Ein paar Tage später fragten sie deutsche Touristen auf der Straße nach einer Adresse und sie fing an, sich mit ihnen auf Deutsch zu unterhalten. Erst zuhause wurde ihr bewusst, was passiert war. Sie schrieb mir, dass sie durch unser Requiem die Angst vor dem Deutschen verloren hat, sich befreit fühlt. Ich habe beim Lesen des Briefes eine Gänsehaut bekommen und musste weinen. Ist das nicht wunderbar, wenn man das mit Musik erreichen kann!
Das Gespräch führte Margarete Kreuzer
Kulturportal Hessen
Mit Musik gegen den vergessenen Völkermord
- 08. Dezember 2012
Mit Musik kämpfen die Frankfurter Roma- und Sinti-Philharmoniker gegen ewige Vorurteile an. Doch das „Requiem für Auschwitz“ des Sinto-Komponisten Roger Moreno erinnert nicht nur an die halbe Million ermordeter Sinti und Roma, sondern an alle Opfer des Nationalsozialismus.
Bevor in der Alten Oper der erste Takt erklingt, richtet Zoni Weisz, dessen Familie von den Nationalsozialisten umgebracht worden ist, das Wort an die Konzertbesucher. Juden, Polen, Sinti und Roma: Sie hätten alle denselben Weg zu den Gaskammern von Auschwitz zurückgelegt, sagt der aus Holland stammende Sinto. Deshalb erinnere das „Requiem für Auschwitz“ des Sinto-Komponisten Roger Moreno Rathgeb, das nun zum ersten Mal in Deutschland zu hören ist, nicht nur an die halbe Million ermordeter Sinti und Roma, sondern an alle Opfer des Nationalsozialismus.Weisz will keinen Unterschied machen zwischen den Ermordeten. Tatsächlich besteht aber seit Jahrzehnten ein Unterschied im Gedenken an die verschiedenen Opfer des Holocaust: Während an den Judenmord in unzähligen Büchern, Filmen und Reden erinnert worden ist und zum Beispiel in Polen das Leiden der Landsleute fest im nationalen Gedächtnis verankert ist, wurde der Völkermord an den Sinti und Roma jahrzehntelang außerhalb dieser Volksgruppe kaum wahrgenommen.
Mahnende Worte zu Beginn des Konzertes
Auch Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, hat viele Familienangehörige während der NS-Zeit verloren. Warum wurden sie und die anderen ermordeten Angehörigen seiner Minderheit im offiziellen Gedenken vergessen? Warum hat Deutschland erst jetzt, 67 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, in Berlin den ermordeten Sinti und Roma ein Denkmal errichtet? Das Leiden seines Volkes, sagt Rose nach dem Konzert, sei immer ein Anhängsel der Schoa, des Mordes an den Juden, gewesen. Die junge Bundesrepublik sei damals gegenüber Amerika, Israel und den europäischen Nachbarstaaten politisch nicht umhingekommen, die Verantwortung für die versuchte Ausrottung der Juden zu übernehmen. Die Sinti und Roma hingegen hätten keine Fürsprecher gehabt.
Wann beginnt die Ermordung von Menschen? Diese Frage stellt in der Alten Oper Michel Friedman. Erst, wenn Rechtsterroristen wie jene vom NSU eine Todesspur durch das Land ziehen? Oder schon, wenn bei einer Umfrage fast 30 Prozent der Befragten angeben, Juden hätten zu viel Einfluss? Friedman, eine der bekanntesten Stimmen des deutschen Judentums, weiß, warum sich die Minderheit der Juden und die der Sinti und Roma nicht auseinanderdividieren lassen sollten. Denn Minderheiten sind immer die ersten Ziele von Rassisten und anderen Extremisten. Doch am Ende, daran erinnert Romani Rose, trifft es alle. Schließlich hätten die Nationalsozialisten, nicht nur Juden oder „Zigeuner“ getötet, sondern das ganze deutsche Volk in den Abgrund gerissen.
Ein klassisches lateinisches Requiem
„Dies Irae“ klingt es mächtig in der Alten Oper: Tag des Zornes. Der Komponist Rathgeb hat ein klassisches lateinisches Requiem geschaffen. Ein Besuch in Auschwitz hat den Anstoß gegeben für dieses Werk, das im Mai in Amsterdam seine Uraufführung erlebt hat. Rathgeb ist wie so viele Musiker seines Volkes Autodidakt. Früher konnte er zwar schöne Musik spielen, aber keine Noten lesen. Erst als er diese Kunst nachträglich gelernt hatte, eröffnete sich ihm auch der Weg zur Komposition. So viel Beifall wie im Frankfurter Konzerthaus hat Rathgeb wohl selten erlebt, die Zuschauer erheben sich nach dem Konzert von ihren Sitzen und feiern den Komponisten, aber auch das Orchester, den Chor und die Solisten.
Ein weltweit einzigartiges, klassisches Orchester
Die Roma- und Sinti-Philharmoniker bilden ein weltweit einzigartiges, klassisches Orchester. Nirgendwo sonst gibt es einen Klangkörper, der nur aus Musikern dieser Minderheit besteht. Als Riccardo Sahiti, ein Sinto aus dem Kosovo, vor zehn Jahren in Frankfurt den Plan zu einem Orchester aus Sinti und Roma fasste, hielten ihn viele für einen Phantasten. Sahiti wusste, dass in den Orchestern Deutschlands und Europas durchaus Musiker seines Volkes spielten, auch wenn viele von ihnen nicht gerne über ihre Herkunft sprachen. Denn eine Sinti- oder Roma-Abkunft fördert die Karriere nicht, wie Sahiti am eigenen Leib erfahren hat. „Sie haben großes Talent, aber Sie passen nicht zu uns“, hat ihm einmal der Direktor einer Musikschule gesagt.
Mit seinen Philharmonikern ist dem Wahl-Frankfurter Sahiti das scheinbar Unmögliche gelungen. Er schuf mit 60 Sinti- und Roma-Musikern aus ganz Europa einen eigenen Klangkörper. Im November 2002 gab er mit diesem in Frankfurt das erste Konzert. Die Aufführung des „Requiems für Auschwitz“ in Amsterdam, Tilburg, Prag und jetzt in Frankfurt ist mehr als ein Höhepunkt in Sahitis musikalischer Karriere und der seines Orchesters. Es ist für die Minderheit der Sinti und Roma ein Zeichen dafür, dass sie auch kulturell endlich angenommen wird.