REQUIEM FÜR AUSCHWITZ
von Roger Moreno-Rathgeb

Inhalt des Werkes

Erläuterungen des Komponisten zum Inhalt

Praeludium

Das Praeludium ist gedacht als instrumentales Vorspiel zum eigentlichen Requiem. Es soll durch seine Vortragsweise dem Zuhörer bereits einen Einblick in jene verschiedenen Gefühlsströmungen vermitteln, welche im Verlaufe des Werkes noch öfters zur Sprache kommen werden. Trauer, Hoffnung, Gebet, Glauben, Resignation, Anklage und dramatische Hilfeschreie.

Der erste Teil des Praeludiums wird eröffnet mit einem feierlich kirchlichen Orgelthema, welches sich schon bald mit Hilfe der Streicher zu einem unheilsverkündenden Hilfeschrei entwickelt. Dieser Hilfeschrei wird in einer ruhigen, tröstenden Orgelcoda beantwortet.

Das Streicherthema in der Überleitung mahnt zur Einkehr, zum Gebet. Ein Gebet welches jedoch erfüllt ist mit Trauer und Mutlosigkeit.

Das Thema der tiefen Streicher und Hörner im zweiten Teil lassen etwas von kurzlebigen Hoffnungsschimmern und Seufzern der Resignation erahnen. Doch dann fliessen das erste und das zweite Thema langsam  ineinander, das Thema der Trauer und Mutlosigkeit (zweites Thema in den tiefen Streichern und Hörnern), und das Thema der Hoffnung (erstes Thema in den Holzbläsern und hohen Streichern), um schliesslich wieder in dem Hilfeschrei des ersten Teiles auszumünden.

Das Praeludium wird beschlossen mit einer Reprise der ersten Orgelcoda, wiederum als Zeichen des Trostes durch den Herrn.


Requiem und Kyrie

Wie aus dem Text schon leicht zu entnehmen ist handelt es sich hierbei um ein Gebet. Ein Gebet der Lebenden zu Ehren der verstorbenen Seelen.

Darum hat das Anfangsthema des ersten Teiles - abwechselnd gespielt durch die Flöte, Klarinette und das Fagott - auch fast den Charakter eines Hirten, der seine Schafe mit seiner Flöte zum Gebet einsammelt.

Danach übernimmt der Tenor - begleitet durch die Orgel - das Thema in einem Solo. “Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis”. Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und ewiges Licht leuchte ihnen. Wonach der Chor antwortet mit dem Lobgesang für den Herrn.

Das Thema der Überleitung - wiederum dominiert von den Holzbläsern - stellt wiederum den Hirten dar, der mit seiner Melodie die Herde beieinander hält.

Der Alt und der Tenor übernehmen dieses Thema im Wechselgesang mit dem männlichen Teil des Chores. “Exaudi orationem meam, ad te omnis caro meniet”. Erhöre mein Gebet, zu Dir kommt alles Fleisch. Wonach der gesamte Chor das Thema im Wechselgesang übernimmt.

Im zweiten Teil werden “Requiem” und “Kyrie eleison” vom Alt, dem Tenor und dem Chor im Wechselgesang gesungen, und zwar - unterstützt von den Blechbläsern und den Streichern - weniger als Gebet, sondern mehr schon als eine fordernde Bitte, um zum Schluss das “Herr, erbarme Dich” wie ein flehender Aufschrei wirken zu lassen.

Auch wenn dies eigentlich ein Gebet der Lebenden zu Ehren der Toten sein sollte, habe ich es zweideutig interpretiert.
Am Anfang ist es ja auch Tatsächlich ein Gebet  gesungen für die Toten. Die Soli des Alt und des Tenors, sowie auch die Antworten des Chores stellen die Lebenden dar. Der Hirte mit seiner Flöte soll den Herrn ausbilden.

Im zweiten Teil jedoch übernehmen die Solostimmen die Rolle der Lebenden, während der Chor die Rolle der Opfer übernimmt. Die Lebenden bitten um Ruhe und Erbarmen für die Toten, während die Opfer um Ruhe und Erbarmen für sich selbst flehen. Was am Ende in einen gemeinsamen Bitteschrei ausmündet.

Wieviele Hilfeschreie gellten durch die Räume, Gänge, Baracken und Wege von Auschwitz? Unzählige Hilfeschreie von Schmerzen, von Verzweiflung. Hilfeschreie um Gnade. Hilfeschreie um Erlösung.

Wie oft flüchtete man sich in ein tröstendes Gebet? Ein Gebet für Ruhe und Erbarmen. Oder suchte Trost bei einem zufällig  anwesenden Geistlichen. Egal, ob er der eigenen Glaubensüberzeugung angehörte, oder irgend einer anderen.
Hauptsache, ein tröstendes Wort. Ein Wort der Hoffnung. Ein Wort der Zuversicht. Um wieder Kraft zu schöpfen für die weiteren Prüfungen seines Herrn. Um die Qualen der gnadenlosen Herrscher ertragen zu können. Um vielleicht sogar dem sicheren Tode entrinnen zu können.

Wieviele Gebete wurden nicht erhört? Wurden nicht beantwortet? Wurden nicht erfüllt? Jedenfalls nicht in jenem Moment, wo man die Hilfe des Herrn am dringendsten benötigte.

Und so flüchtete man sich wieder in die Hoffnung, aus eigener Kraft diese Hölle überstehen zu können. Man musste überleben. Im Namen der Eltern, der Geschwister, der Kinder und Enkelkinder. Man wollte überleben. Um der Welt danach die Wahrheit zu verkünden. Die Wahrheit des Grauens, die Wahrheit der Ungerechtigkeit.

Man sollte überleben, um in der ganzen Welt die Kraft des Glaubens und die Stärke Gottes zu verkünden. Die Macht des Herrn über das Dunkel.




Dies irae

“Dies irae, dies illa”-Tag des Zorns, Tag der Klage.

Bereits aus diesen wenigen Worten kann man erahnen, was da musikalisch auf einen zukommen wird.

Das “Dies irae” als Totensequenz wird in der offiziellen Liturgie seit langem nicht mehr gebraucht. Ausserdem wurde es in früheren Zeiten in verschiedene Abschnitte unterteilt.
Da ich es jedoch als eine Anklage und Auflehnung der Leidenden gegenüber ihren Peinigern interpretieren wollte, beschloss ich, das “Dies irae” dennoch zu gebrauchen, und zwar als ein zusammenhängendes Stück.

Bereits die ersten vier Worte in der Eröffnung - gesungen durch den Chor und unterstützt von den Blechbläsern und dem Paukenwirbel - widerpiegelt die Wut und die Auflehnung der Leidenden, sowie auch ein zorniges Grollen des Herrn, wonach der Sopran, der Tenor und der Chor die erste Anklage abrundet.

Im “Tuba mirum” würde man eigentllich eine dröhnende Passage der tiefen Blechbläser erwarten. Ich habe es jedoch eher als ein lyrisches Gebet interpretiert. Eine Bitte der Leidenden, die Sünder vor den Richter zu rufen um Rechenschaft abzulegen.

Nach einem ruhig vorgetragenen “Liber scriptus” erscheint eine zornige Reprise der Eröffnungsszene.

“Quid sum miser tunc dicturus? Quem patronum rogaturus, cum vix justus sit securus?” Was werd’ Armer ich denn sprechen? Welchen Mittler soll ich rufen, da selbst der Gerechte zittert? Diese hadernde Äusserung des Zweifels und der Mutlosigkeit durch den Alt  wird mit einem flehenden Aufschrei durch den Chor im “Rex tremendas” beantwortet.  
 
Das “Recordare Jesu pie” soll wiederum ein Gebet darstellen, ein Seufzen schweren Herzens, eine flehende Bitte an den Herrn, doch nicht untergehen zu müssen. Oder zumindstens eine Hoffnung - im Bewusstsein seiner eigenen Niedrigkeit - die Schmerzen und Qualen ertragen zu können.

Dem dumpfen Grollen des zornigen Herrn folgt im “Confutatis maledictis” wiederum ein Aufschrei von Wut und flehendem Klagen des Chores, welcher in einer erneuten Reprise der Eröffnungsszene ausmündet.

Zum Schluss wird im “Lacrymosa dies illa” noch einmal gebetet, dass die Welt sich sündvoll dem Richter neigen, der Herr seinen Sündern verzeihen, und der Welt selige Ruhe verleihen möge.

Das fast zaghafte Amen am Ende sollte den Eindruck vermitteln, dass die armen Seelen eigentlich gar nicht recht mehr wussten, wofür sie dem Herrn danken sollten. Für das armselige tägliche Brot? Für das jämmerliche Überleben eines weiteren Tages? Oder für das Nahen der endlichen Erlösung von den Qualen?

In diesem Teil kommen die verschiedensten Gefühlsäusserungen zum Ausdruck. Gefühle der eigenen Niedrigkeit, der Ohnmacht, der Hilflosigkeit. Das Gefühl, seinen Peinigern schutzlos ausgeliefert zu sein.

Die Häscher konnten jahrelang mit den armen Opfern tun und lassen, was sie wollten. Sie konnten hemmungslos  ihre Aggressionen, ihren perversen Sadismus und ihre primitifen Mordgelüste ausleben. Keiner hinderte sie daran. Jahrelang, Tag ein, Tag aus.

Wie oft wurden jeden Tag Menschen verspottet, erniedrigt, Hunger, Durst und Kälte ausgesetzt, mit Füssen getreten, mit Knüppeln geschlagen.
Wie schmerzvoll muss dazu noch die Erkenntnis gewesen sein, nebst all den physischen Qualen machtlos zu sein und nichts gegen diese Tortur ausrichten zu können. Das Gefühl, jede schmerzvolle Minute daure eine Stunde, jede qualvolle Stunde einen Tag, jeder hungrige Tag eine Woche, jede kalte Woche einen Monat, jeder endlose Monat ein Jahr. Die Furcht, diese Hölle könnte nie enden.

So werden sicher auch millionenfach Gefühle des Zweifels, der Ungewissheit, der Mutlosigkeit und der Resignation aufgekommen sein.
Zweifel, ob man seine Familie wohl jemals wiedersehen würde.
Zweifel, ob man den nächsten Tag wohl noch überleben würde.
Zweifel an Gott und der Welt.
Die Ungewissheit, wie lange diese Hölle wohl noch dauern würde. Würde sie jemals enden? Und wenn; wie würde sie enden?
Die Ungewissheit, ob man diese Hölle überhaupt überleben würde. Oder ob man sterben muss. Und wann?
Die Mutlosigkeit bei dem Gedanken, um jeden Tag wieder aufs Neue dieselben Qualen und Erniedrigungen über sich ergehen lassen zu müssen.
Und Resignation bei dem Gedanken an die Ausweglosigkeit.  

Aber auch Gefühle der Rache und Vergeltung werden wohl manchmal ihr Haupt erhoben haben, in Momenten der Wut und des Zorns.

Wie oft wünschte man seinen Peinigern eine gerechte Strafe, wenn man wieder mal Hunger und Kälte ausgesetzt wurde.
Wie oft wünschte man ihnen die selber erlittenen Qualen, wenn man wieder mal geprügelt oder getreten wurde. Oder sogar den Tod, wenn man sah, dass Mitglieder der Familie oder Freunde in die Gaskammern geführt wurden.

Und da waren natürlich auch noch die Gebete. Millionenfach. Gebete des Flehens um Gnade und Erbarmen, Gebete um Hilfe und Erlösung. Gebete für Gerechtigkeit und Strafe. Gebete für Rache und Vergeltung.

Und so schleppte man sich dahin, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Ohne Aussicht auf Hilfe.



Domine Jesu
(Offertorium)


Dieser Teil enthält die Bitte der Lebenden um ewiges Leben für die Verstorbenen und das Flehen um Schutz vor den Abgründen der Hölle.

Er beginnt dann auch mit einem ruhigen kirchlichen Orgelthema, behutsam beantwortet durch die Holzbläser.

Danach übernimmt der Bariton das Thema mit dem “Domine Jesu Christe”, der Chor antwortet feierlich mit “Rex gloriae”, König der Ehren.

Es folgt das Bitten des Alt um Befreihung der Seelen von den Strafen der Hölle und dem tiefen Abgrunde, das wiederum durch den Chor mit “Rex gloriae” beantwortet wird.

Der Sopran fleht dann um die Errettung der Verstorbenen aus dem Rachen des Löwen, dass die Hölle sie nicht verschlingen, und dass der Heilige Michael sie zum ewigen Lichte begleiten möge.
Der Chor antwortet mit der Verheissung des Herrn an Abraham und seinem Geschlechte, wonach er ein feierliches, ja fast hoffnungsvoll heiteres “Rex gloriae” anstimmt.

Dieser Ablauf erscheint noch zwei Mal. Zum ersten Mal nach der Bitte des Alt um die Annahme der Opfer und Gebete zum Gedenken jener Seelen.
Und zum zweiten Mal nach der Bitte des Tenors um Erlösung der Seelen von den Strafen der Hölle und um Auferstehung vom Tode zum Leben.

Dieser Teil wird durch den Chor mit einem hingebungsvollen “Domine Jesu” abgeschlossen.   


Wieviele Opfer wurden tagtäglich durch den Rachen des Löwen verschlungen. Wurden durch ihre Peiniger zu Tode gequält, wurden zu Tode geprügelt, zu Tode gehungert, aufgehängt oder erschossen.

Und wieviele Opfer wurden tagtäglich durch den Rachen der Hölle verschlungen. Wurden in die Gaskammern von Auschwitz gedrängt und danach in den Öfen verbrannt.

Damals war kein Schutz vor dem Abgrund der Hölle und dem Rachen des Löwen. Millionenfaches Beten hatte die Mörder damals nicht aufgehalten.  Nur der Tod war schlussendlich die Erlösung aller Qualen.

Und so ist es heute an uns, für die Opfer von Auschwitz zu beten. Dass die ewige Ruhe und der ewige Frieden über sie kommen möge. Dass sie hinauf zum ewigen Lichte gelangen mögen. Dass ihre Seelen auferstehen mögen von dem Tode ins ewige Leben im Namen des Herrn.




Sanctus und Benedictus

Das “Sanctus” und das “Benedictus” wird in den meisten Messewerken als zwei selbstständige Teile behandelt.
Das “Sanctus” ist die “Heilig-Rufung” an Gott den Herrn. Und das “Benedictus” ein Lobgesang im Namen des Herrn. Beides frohe Elemente innerhalb der Messe.

Darum hatte ich mich entschieden, diese beiden Teile zusammenzufügen, weil ich dem ganzen Stück einen frohen, ja schon fast heiteren Charakter geben wollte.

Der Chor beginnt diesen Teil mit der “Heilig-Rufung”, die der Herr unser Hirte mit einem aufgeweckten Solo der Klarinette beantwortet.

“Pleni sunt coeli et terra gloria tua”
! Voll sind Himmel und Erde Deiner Ehre. Diese Passage - feierlich vorgetragen durch den Sopran und den Alt in Begleitung des Chores  - wird gefolgt durch ein erhabenes “Hosanna” des Chores im Wechselgesang mit den 4 Solisten.  

Nach einer Reprise der “Heilig-Rufung” stimmen der Sopran und der Tenor ein ruhiges “Benedictus” an, das durch den Chor mit den Worten “qui venit in nomine Domini” beantwortet wird.

Nach dem zweiten, fast fröhlich heiteren Solo des Hirten - diesmal von der Oboe vorgetragen - beschliesst der Chor diesen Teil mit einem weiteren erhabenen “Hosanna”.

Sogar in Auschwitz gab es kurze Momente des Aufatmens, kurze Lichtblicke der Hoffnung.

Momente des Aufatmens, wenn man mal einen Tag lang nicht geprügelt oder getreten wurde.
Momente der Hoffnung, wenn man nicht in der Reihe jener Auserwählten stand, welche in die Gaskammern geführt werden sollten.
Momente des Aufatmens, wenn man einige Tage in Ruhe gelassen wurde und seine armseligen Mahlzeiten zu sich nehmen konnte.
Momente der Hoffnung, wenn man wieder einen Tag überlebt hatte.
Momente des Aufatmens, wenn man Nachts auf seinem Strohlager für ein paar wenige Stunden die geschundenen Glieder ausstrecken konnte.

In jenen Momenten wird manch einer im Stillen ein Dankgebet ausgesprochen haben. Wird manch einer im Stillen einen Lobgesang an den Herrn angestimmt haben.
“Heilig ist Gott unser Herr. Gesegnet sei, der da komme im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe”.


Agnus Dei

"Agnus Dei" - Lamm Gottes.
Ein Symbol, das auf die innere Reinheit von Jesus Christus weist, welcher von Gott für die Sünden der Menschen geopfert worden ist.

Wie man leicht aus dem Text entnehmen kann, ist auch dieser Teil des Requiems wiederum ein Gebet, diesmal in Form einer Fürbitte.
Ich habe sie interpretiert als Fürbitte der Opfer um Vergebung und ewige Ruhe für die Sünder - ihre Peiniger.

Nach der Pizzicato-Einleitung der tiefen Streicher eröffnen die Holzbläser das Thema, wonach der Alt und der Bariton das Thema kanonartig übernehmen. Der Chor antwortet mit “qui tollis peccata mundi, dona eis requiem”. Du trägst die Sünde dieser Welt, schenke ihnen Ruhe.

Die Geige führt das Thema solistisch in einer Variation aus, wonach der erste Teil durch den Chor abgeschlossen wird.

Der zweite Teil wird beherrscht durch die fugenartige Ausführung des Themas durch den gesamten Chor, welche in eine kanonartige Überleitung mündet. und schlussendlich zurückführt in die Reprise der Eröffnung durch den Alt und den Bariton.

Nach der Antwort des Chores wird dieses Stück beendet mit einem Schlussakkord der Streicher.

Millionenfach wurde geschrien, wenn man wieder verprügelt wurde.
Millionenfach wurde geflucht, wenn man wieder von Fusstritten getroffen wurde.
Millionenfach wurde gefleht, wenn man auserwählt wurde, um in die Gaskammern getrieben zu werden.   Und millionenfach wurde gebetet um Rache und Vergeltung für jedes Opfer, welches als Rauch aus den Öfen zum Himmel stieg.

Doch sicherlich waren da auch Gepeinigte - stark im Glauben und überzeugt von der göttlichen Gnade und Gerechtigkeit - die erhaben waren, um selbst in Momenten grösster Qualen und verletzendster Erniedrigungen ihren Peinigern noch irgendwie zu vergeben.
Die Kraft und Trost fanden in den Worten Jesu Christi am Kreuze: “Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun”.

Wie stark muss ein Glaube sein, dass man - nachdem man gefoltert, gequält und erniedrigt wurde  - noch beten kann:  “Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun”.

Wie tief muss die Überzeugung von der Gnade und Gerechtigkeit Gottes sein, dass man - nachdem man Familienangehörige in den Gaskammern verschwinden sah - noch beten kann:  “Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun”.

Und dann in solch einem Moment nicht mehr an sich selbst dachte, sondern für die armen Opfer betete: “Herr, Du trägst die Sünden dieser Welt. Ewige Ruhe schenke ihnen”.


Lux aeterna

"Lux aeterna" - ewiges Licht.
Auch dieser Teil stellt ein Gebet dar. Ein Gebet der Lebenden für die Verstorbenen.
Eine Bitte nach ewigem Licht, das den Verstorbenen leuchten möge.

Es wird eröffnet mit einem feierlichen Thema der Orgel, welches allmählich von den Streichern unterstützt und von den Holzbläsern übernommen wird.

Die Frauenstimmen des Chores übernehmen jenes Thema mit den Worten “Lux aeterna luceat eis”, das durch die Männerstimmen im Wechselgesang mit “Domine Jesu” beantwortet wird.

Nach einem instrumentalen Intermezzo singt der gesamte Chor ein resolutes “Domine, quia pius est”. Herr, denn Du bist ewig gut.

Nachdem der Chor den Text in verschiedenen Variationen behandelt hat, beenden die Frauen- und Männerstimmen das Stück nacheinander mit einem besonnenen “quia pius est”.

Nachdem die Greuel von Auschwitz nunmehr beinahe 65 Jahre zurückliegen, bleibt uns als Nachfahren nichts anderes übrig, als all jenen geschundenen Opfern regelmässig zu gedenken, in Demut und Dankbarkeit.
Und dass wir regelmässig für sie beten: “Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und ewiges Licht leuchte ihnen".


 Libera me

“Libera  me, Domine,  de morte aeterna”. Errette mich, Herr, vom ewigen Tode.

Dieser Aufschrei fand ich sehr passend, um ihn als Schlussakte dieses Werkes zu verwenden.

Dieses Stück habe ich dann auch als eine Art Finale behandelt, worin verschiedene Themen voriger Stücke noch einmal eine Reprise erleben.

Wie auch im Stück “Requiem und Kyrie” habe ich den Text zweideutig interpretiert, nämlich einerseits als Gebet der Lebenden für die Verstorbenen, und andrerseits als Aufschrei und Anklage der geschundenen Opfer.

Nach einem unheilverkündenden Paukenwirbel gellt der Aufschrei “Libera me” im Chor der Gepeinigten, wonach sich der Gesang mit einem furiosen Chaos verminderter Septimen vermischt.
In einer aufsteigenden Tonleiter des Orchesters löst sich das Chaos allmählich auf. Es folgt eine zornige Reprise des “Dies irae”.

Ein lyrisches Zwischenspiel des Orchesters leitet das Gebet der Lebenden für die Verstorbenen ein, gesungen durch den Sopran, den Tenor und den Bariton. “Requiem aeternam dona eis, Domine”, ewige Ruhe gib ihnen, Herr, wonach das Orchester das Thema fortsetzt.

Am Ende dieses instrumentalen Zwischenstücks leitet der Paukenwirbel die chaotische Reprise des ersten Teils ein, welche im gemeinschaftlichen Aufschrei “Libera me” des Chores und der Solisten ausmündet.

Das Hilfeschrei-Thema aus dem “Praeludium” übernimmt den ersten Teil der Schlußszene, der Chor verabschiedet sich mit einem feierlichen “Amen”, welchem acht Glockenschläge folgen.

Die Streicher beenden das Werk mit einem misteriösen Unisono-Akkord.  

“Libera me, Domine”, errette mich, oh Herr.

Wie oft gellte dieser flehende Aufschrei durch die Gänge von Auschwitz. Millionenfach.
Um danach in massloser Enttäuschung, Zorn und Wut zu schreien: “Wo Himmel und Erde wanken, wenn Du erscheinen wirst, die Menschen durch Feuer zu richten”.

Wie oft wurde gebetet um Rache und Vergeltung, dass die Peiniger doch erzittern mögen vor dem Zorn und dem Gericht Gottes.
Dass sie genauso durch das Feuer gerichtet werden mögen, so wie sie die geschundenen Opfer “gerichtet” haben.

Uns bleibt nur, um eben all jenen Seelen zu gedenken und für sie zu beten. “Herr, erbarme Dich. Erhöre mein Gebet. Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und ewiges Licht leuchte ihnen. Amen.“



Roger Moreno - Rathgeb
Vaals, Niederlande, 5. November 2009


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